Texte und Informationen zum Konzert am 19. November 2006

Programm:
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Konzert für Klavier und Orchester A-Dur KV 488

- Pause -

Gabriel Fauré (1845-1924)
Pavane op. 50
Fassung für gemischten Chor und Klavier

Christian Quinque (*1983)
"Ich weeß nich, mir isses so gomisch..."
Fimf Gädichde von dor Lene Voigt
   I      Dor Geenich in Dule
   II    ’S Heidereeslein in Sachsen
   III   De säk’sche Lorelei
   IV   Dor Zauwerlährling
   V    ’S Gaffeegeschbänsd
For ä hoofn Insdremände und Goor ooch noch.

Ausführende:

Cantiamo - Junge Kantorei Merseburg
Kammerorchester Halle

Klavier: Istvan Fülöp, Erfurt
Schlagwerk: Hagen Hauser, Halle

Ein ganz besonderer Dank gilt Edelgard und Martin Langer sowie Gottfried Ulbricht, den "Fiff’schen Gaffeesachsen" aus Taucha, für die vortreffliche Rezitation der sächsischen Gedichte.
Für weitere Informationen zu dieser Gruppe sei auf deren Internetseite www.gaffeesachsen.de verwiesen.

Geleitwort:
"Säggs’sch is budds’sch",

so lautete jüngst der Titel eines Programmes in einem der Leipziger Kabaretts. Aber warum eigentlich hält alle Welt Sächsisch für "putzig", also für einen nicht so ganz ernst zu nehmenden Dialekt? Warum wird das Sächsische in den Medien so gern als etwas peinliche Mundart "der" Ostdeutschen veralbert oder gar diffamiert? Eine wirklich überzeugende Erklärung dafür gibt es nicht. Manch einer versucht dieses Image damit begründen, dass Sächsisch im Gegensatz zu Schwäbisch, Hessisch oder Rheinisch außer in den Reden der DDR-Staatsratsvorsitzenden über 40 Jahre in der alten Bundesrepublik praktisch nicht zu hören war und also nach der Wiedervereinigung als etwas Neues oder zumindest lange nicht Gehörtes ziemlich exotisch anmuten musste.
Aber wie dem auch sei - der wahre Sachse lässt nichts auf seine Mundart kommen; weiß er doch, dass es das Sächsische war, worauf sich Martin Luther, der in einer Zeit lebte, als es noch keine im gesamten Reich anerkannte Hochsprache gegeben hat, in seiner Übertragung der Bibel ins Deutsche stützte. Bekanntermaßen hat diese Bibelübersetzung für die Entwicklung einer deutschen Hochsprache ganz maßgebliche Bedeutung erlangt: Die Sachsen (zu denen wir Merseburger historisch und mundartlich ja auch gehören) können demnach mit Fug und Recht behaupten, das "wahre" Deutsch zu sprechen, die Mutter des modernen Hochdeutschen. Da kann selbst jeder noch so nationalbewusste Bayer einpacken.
Unabhängig davon bin ich der Ansicht, dass jede Mundart zugleich auch ein Kulturgut ist, welches es zu schützen und zu pflegen gilt. Es ist ein großer Reichtum der deutschen Sprache, dass sie innerhalb des vergleichsweise kleinen Raumes, in dem sie gesprochen wird, eine derartige Vielfalt an oft in sich noch stark differenzierten Dialekten hervorgebracht hat. Dieser Reichtum ist besonders seit dem 19. Jahrhundert von zahlreichen Dichtern und Sprachwissenschaftlern erkannt und gewürdigt worden.
Eine von ihnen war Lene Voigt. Geboren am 2. Mai 1891 in Leipzig, erlangte sie mit ihren Parodien auf bekannte Werke der deutschen Lyrik und Dramatik ebenso wie mit ihren eigenen heiteren und ernsten hochdeutschen und mundartlichen Gedichten rasch Beachtung und Anerkennung. Sie blieb fast ihr gesamtes Leben lang ihrer sächsischen Heimatstadt Leipzig treu und verstarb dort am 16. Juli 1962.
Die Idee, ein Chorwerk in sächsischer Mundart zu schreiben, kam mir während den Aufnahmen zu einer CD-Produktion des Leipziger Universitätschores im Dezember 2005. Während wir die Chöre einer Kantate Johann Sebastian Bachs probten, erzählte unser Chorleiter, dass es zu Bachs Zeiten üblich war, dessen Werke auf Sächsisch, also in der seinerzeit gebräuchlichen Umgangssprache zu singen und bat uns, ihm zuliebe den Eingangschor einmal in dieser Weise aufzuführen. Während wir nun zur allgemeinen Erheiterung "Deenäd iohr Baugen, ärschalläd Drombeedn" schmetterten, entstand der Gedanke, dieser Idee einmal ein ganzes Werk zu widmen. Lene Voigts "Säk’sche Balladen" erschienen mir als die zur "Übersetzung in Musik" am besten geeigneten Texte.
Mit meiner Vertonung habe ich versucht, soweit möglich, die zugrunde liegenden Originale in ähnlicher Weise musikalisch zu parodieren, wie dies im Text geschieht, wobei ich um eine bildhafte und textnahe Musiksprache bemüht war. In den fünf Sätzen treten zahlreiche Zitate aus Werken anderer Komponisten auf, die hier in einen neuen Zusammenhang eingearbeitet sind; so lassen sich Motive von Johann Sebastian Bach, Carl Maria von Weber, Dmitrij Schostakowitsch, John Williams, Richard Wagner, aus verschiedenen Volksliedmelodien, Hymnen und nicht zuletzt auch aus eigenen früheren Werken wiederentdecken.
Klanglich durchbricht das Werk zwar die Regeln der traditionellen Harmonielehre, bewegt sich aber dennoch weitgehend im tonalen Dur-Moll-System, wenngleich die Stücke nicht mehr an jeweils eine einzige Tonart gebunden sind. Wie bereits in meinen bisherigen Kompositionen wird bisweilen der Taktwechsel als Mittel zu einem engeren Musik-Text-Bezug genutzt. Mein Ziel ist es, mit dieser Komposition einerseits das Werk Lene Voigts zu würdigen und andererseits einen Beitrag zur Pflege der sächsischen Mundart zu leisten. Ich möchte den Zuhörer erkennen lassen, dass das Sächsische nicht weniger als jeder andere Dialekt etwas über lange Zeit Gewordenes, etwas Wertvolles und Einzigartiges ist; ein Faktum, welches einen ganz wesentlichen Bestandteil der regionalen Identität und Eigenart der Sachsen ausmacht und mit dessen Verlust auch ein großes Stück Sachsentum verschwinden würde.

Christian Quinque, Merseburg und Leipzig, im Oktober 2006.

Texte:
Dor Geenich in Dule

Es war ma ä Geenich in Dule
där saß so bedriebd uffen Schduhle
un schdierde ganz dees’sch vor sich hin
sei Härze, das bubborde bange,
mor fiehlde, där machd’s nich mär lange
(wie das ähmd im Aldor duhd sin).
So hoggdor nu uff dor Därrasse,
mit Gaffee schdand vorn änne Dasse,
die liebdor mähr wie all sei Gäld,
denn es war ä Geschenk von sei Ännchen,
die soff so bro Daach zwanzich Gännchen,
drum mußdse schon frieh aus dor Wäld.
Dor Geenich schbrach: "Wenn ich ooch schdärbe,
die Dasse grichd geenor als Ärwe."
Druff schmissorse nundor ins Määr.
Dann lähndor sich hin an de Brisdung
und weil gar so schwär seine Risdung,
da gollordor brombd hindorhär.

’S Gaffegeschbänsd

Am Lilichenschdeene um Middornachd
da laadschd ä Geschbänsd dorchen Fälsenschachd.
Das rasseld mid ärchendwas forchbar dord rum.
De Leide, die flisdorn: "Jedz gehds wiedor um!"
Nu hädde ja manchor rächd gerne erfahrn,
was bloß dor Geisd rumwärchd schon seid soviel Jahrn.
Gee Mänsch in dor Geechend gonnd sich das erglähr,
was där in dor Schluchd drinne hadde ze mährn.
Bis endlich mal eenor, Baul Borbsich aus Bärne,
sich ranschlich mid Muhd un Vordraun zu sein Schdärne.
Gaum dasses vom Gärchdorm dahd Middornachd schlaachen
gahm bingdlich ’s Geschbänsd in ä Hemd ohne Graachen.
Dä gnochichen Fingor umgramfden ä Dobb,
ä Schbiridusgochor druhgs ohm uff sein Gobb.
Dann säddsde sich’s hin undorn Lilichenschdeen
un braude sich Gaffee. Nee, roch där scheen!
Befeiord vom Dufde dor geddlichen Drobben
fing Baul an ze blähgen: "He, mir ooch ä Schobben!"
Hieruff gabs ä Gnall un dor Geisd war vorschwunden.
Baul Borbsichen hamse am Morchen gefunden.
Där saß schwär vorbriehd in nor Gaffeelache.
Das war dem geschdeerden Geschbänsd seine Rache.

’S Heidereeslein in Saggsen

Midden uff dor Dräsdnor Heide,
Reeslein uff dor Heiden, jäohr,
schdand ä Weib in rosa Seide,
Reeslein uff dor Heiden, jäohr,
schigge Schdrimbe, Bubigäbbchen,
Reeslein uff dor Heiden, jäohr,
an den Ohrring’ goldche Gnäbbchen,
Reeslein uff dor Heiden.
Reeslein, Reeslein, Reeslein rohd,
Reeslein uff dor Heiden.

Da gam ä Modohrradfahror,
Reeslein uff dor Heiden,
ohne Sozjusbubbchen wahror.
Reeslein uff dor Heiden.
Däm lief mid gogäddor Miene,
Reeslein uff dor Heiden, uh,
’s Freilein flink vor dä Maschine,
Reeslein uff dor Heiden.
Reeslein, Reeslein, Reeslein rohd,
Reeslein uff dor Heiden.

"Hald!" so rief dä gägge Gleene,
Reeslein uff dor Heiden, jäohr.
Nimm mich mid, sonsd wär’ch gemeene.
Wubbdich, schwangse sich uffs Rädchen.
Ja, so sin de sägg’schen Mädchen,
Reeslein uff dor Heiden.
Reeslein, Reeslein, Reeslein rohd,
Reeslein uff dor Heiden.
Reeslein, Reeslein, Reeselein duhn waggsn
ooch in Saggsen.

De säggs’sche Lorelei

Ich weeß nich, mir isses so gomisch
un ärchendwas machd mich vorschdimmd.
’S is meech,ich, das is anadomisch,
wie das ähmd beim Mänschen ofd gimmd.

De Ällwe, se bläddschord so friedlich,
ä Fischgahn gommd aus dor Dschächei.
Drin siddsd ne Famielche gemiedlich,
nu sin se schon an dor Basdei.

Un ohm uffen Bärche, nu gugge,
da gämmd sich ä Freilein ihrn Zobb.
Se schdriechelden gladd hibbsch mid Schbugge,
dann schdäggdsen als Gauz uffen Gobb.

Dor Vador da unden im Gahne
glozzd nuff bei das Weib gands endziggd.
De Muddor meend draurich: "Ich ahne,
die machd unsorn Babbah vorriggd!"

Nu fängd die da ohm uffen Fälsen
ze sing’ ooch noch an ä Gubbleh,
dor Vador im Gahn duhd sich wälsen
vor Lachen un jodeld "Juchee!".

"Bis schdille!" schreid ängsdlich Oddielche,
schon gibbeld gands forchbar dor Gahn,
un bläddslich vorsingd dä Famielche,
nee, Freilein, was hammse gedahn!

Dor Zauwerlährling

Heide bin ich mal alleene un dor Meesdor iwwer Land.
Ei, Härr Jehses, das wärd scheene, jez duhd zauworn meine Hand!
Nu, gomm här, du alldor Bäsen, riehr dich flingg un soggä los!
Ich bin ooch ä hähres Wesen, nich eddwa dor Meesdor bloß.
Gugge doch, schon duhdor fliddsen wie ä Wiesel hin un här.
Freilich, där gann ooch ma schwiddsn, ich habbs graade reichlich schwäär.
Da, schon bringdor Uffwaschwassor, so is hibbsch, mei braaves Dier,
Wenn dor Meesdor wissde, dassor hadd ne Gongurränz in mior!
Na, nu is gänuhg, mei Liewor, häre jedz ma wiedor uff,
sonsd leefd noch dä Wanne iewor. Hierbleim sollsdä, horch doch druff!
Nee, da sausd das dumme Ludor nochma mibbm Ämmor los,
heenisch ooch noch feigsn duhdor um sei Holzmaul riesengroß.
Himmel! Ich habbs Word vorgässen, wie dän Gärl mor bändchen muß.
Un schon säbbeld wie besässen där uffs Neie hin zum Fluß.
Ach du griene Neine, ’s Wassor schdehd ä Medor hoch im Haus.
Immor feichdor wärds un nassor. (’S Bäsde is, ich zieh mich aus.)
Hah! Jedz weeß ich, was ich mache, mibbm Beile hagg ich zu,
gommdor wiedor, där Abache, so vorschaffchmor meine Ruh.
Goddvorbibbch, jädz habbch geschbalden gligglich den vorfliggsdn,
doch dafor habbch nu zwee ärhalden, un die maddschen immor noch.
Meesdor, Meesdor, gomm doch wiedor, ach, mei liewor, guhdor Härr!
Die zwee glabbs’schen Bäsenbriedor iwworschwämm’ ja schon ’s Bardärr.
Niemals will ich wiedor sindchen, gomm mei Härr un schbrich das Word.
Ach, ich fiehls, er wärd mor gindchen, un zum Ärschden muß ich ford.

 
  aus: Lene Voigt (1891-1962), Säk’sche Balladen. Erschienen bei Rowohlt, Hamburg, 2001, 18. Auflage.
  (Die Texte sind in Orthographie und Wortlaut leicht modifiziert.)

Zeitungsrezension:
Sächsische Lieder in der Stadtkirche
Merseburger Komponist vertont Lene-Voigt-Gedichte

Die Idee, ein Chorwerk in sächsischer Mundart zu schreiben, kam dem jungen Merseburger Komponisten Christian Quinque während der Proben zu einer CD-Produktion des Leipziger Universitätschores. Es sollte eine Bach-Kantate eingespielt werden und der Chordirektor animierte dazu, doch mal in Mundart zu singen - war Sächsisch doch Umgangssprache zu Bachs Zeiten.
Was zu den Proben gelungener musikalischer Spaß war, wurde für Quinque ernsthafter Anlass, Gedichte der Leipziger Mundartdichterin Lene Voigt zu vertonen, die am letzten Sonntag in der Stadtkirche zur Uraufführung kamen. Fünf Gedichte, darunter "De Sägg'sche Lorelei" und "Dor Zauwerlährling" ebenso wie "Dor Geenich in Duhle" setzte er in Musik. Sehr ambitioniert und mit viel Freude nahmen sich Cantiamo - die Junge Kantorei und das Hallesche Kammerorchester unter der Leitung von Stefan Mücksch die Lieder vor und machten die Mundart wenigstens zeitweise salonfähig.
Mit viel Witz und Hintersinn parodiert Quinques Musik. Da "wagnert" es mal kurzzeitig, Bach schimmert durch und der Freischütz von Weber lässt grüßen. Am besten gelingen ihm die Zitate, wenn er, wie in der Loreley, die bekannte Volksliedmelodie verfremdet, die Rhythmen verschiebt und so zu eigener Musiksprache findet. Besonders geschickt und facettenreich ist das Schlagwerk eingebunden, das Klangräume entwichelt, die Spaß machen und dem heiteren Charakter der literarischen Vorlage kongenial entsprechen. Dass diese Gedichte jeweils vor dem Chorsatz von den drei "Fiff'schen Gaffesachsen" wirklich pfiffig vorgetragen wurden, gab dem Ganzen Pep und wurde vom Publikum herzlich beklatscht.
Nach der Pause ging es klassisch weiter. Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkonzert A-Dur (KV 488) gehört zweifelsohne zum Schönsten, was die Gattung hervorgebracht hat. Weil sparsam in der Instrumentierung (Flöte, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner und Streicher) kommt dem Klavier eine besondere Rolle zu. Licht und lieblich entwichelt sich das Hauptthema des ersten Satzes, sinnlich versunken das anrührende Adadio im zweiten Satz. Istvan Fülöp (Klavier) hat den Impetus des Werkes ausgezeichnet aufgegriffen. Stefan Mücksch inspirierte das Hallesche Kammerorchester zu einer geschlossenen Leistung.

Hans-Hubert Werner, MZ vom 22. November 2006.

 
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